„Glauben Sie nie, dass Beharrlichkeit nicht erfolgreich sein kann"
26. Aug 2020
aus dem Freisinger Tagblatt vom 26.8.2020:
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges beschlossen Christen aus Frankreich und Deutschland, sich die Hand zu reichen. Entstanden ist daraus eine internationale, christliche Friedensbewegung: pax christi. Heuer feiert die Vereinigung ihr 75-jähriges Bestehen. Gemeinsame Pilgerwege, Wallfahrten und Gottesdienste waren der Anfang. Im Fokus stand die Versöhnung. Schon in den 1950er Jahren begann pax christi, sich mit politischen, gesellschaftlichen und theologischen Aspekten auseinanderzusetzen. Und nach all diesen Jahren Friedensarbeit in der Welt sind die Themen von pax christi aktueller denn je. Wo steht pax christi heute und wie wird sich die Vereinigung in Zukunft entwickeln: Darüber spricht Ernst Fischer, Sprecher der Freisinger Gruppe.
Herr Fischer, Sie sind ein Mann der ersten Stunde in der pax christi-Gruppe Freising. Welchen Stellenwert hat pax christi aus Ihrer Sicht in der heutigen Gesellschaft?
Ganz ehrlich, medial und was den Einfluss angeht: gar keinen. Das Thema ist out, wir leben in einer gewalttätigen Welt und Friedensarbeit ist zurzeit einfach kein Thema in der breiten Gesellschaft.
Das ist doch ein Widerspruch: Eine gewalttätige Welt in der Friedensarbeit kein Thema ist?
Sollte es nicht gerade andere herum sein? Die Phasen gab es schon immer. Frieden war nie ein Dauerthema. Meine Erfahrung ist: Je größer die Angst der Menschen wird umso stärker rückt das Thema wieder in den Vordergrund. Das war zum Beispiel in den 1980er-Jahren so, als es um die Abrüstung ging bie in die 1990er-Jahre mit dem Irak-Krieg und der instabiler Situation am Golf. Damals wurde pax christi quasi über rollt. Wir hatten über 50 Mitglieder und unsere Veranstaltungen waren voll. Heute sind wir ein kleiner Kreis aus Überzeugten, die beharrlich am Thema bleiben.
Wünschen Sie sich denn wieder mehr Mitglieder in der Freisinger Gruppe?
Ja und nein. Es geht nicht um eine Mitgliedschaft, sondern darum, die Menschen wieder mehr für das Thema zu interessieren und zu sensibilisieren. Das muss nicht zwingend über die Mitgliedschaft in unserer Gruppe sein. Ich wünsche mir also grundsätzlich wieder mehr Interesse am Thema. Frieden ist das Überthema von pax Christi,
Dieses große Ziel hat aber viele Facetten...
Absolute Gewaltlosigkeit und weltweiter Frieden sind die großen Meta-Ziele, ja. Wir sind aber keine Utopisten, sondern blicken ganz real auf die Welt, die Menschen und unsere Möglichkeiten. Deswegen mischen wir uns in Themen ein, die aktuell die Menschen bewegen, wie die Flüchtlingssituation, soziale Gerechtigkeit oder das Atomwaffenverbot. Letzteres ist ja ganz aktuell. Am 6. August hat sich die Hölle von Hiroshima und Nagasaki zum 75. Mal gejährt. Ja, deshalb haben wir uns an einer Aktion eines Partners von pax christi beteiligt. Die Organisation ICAN — übrigens vor drei Jahren mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet — macht auf das Atomwaffen-Thema mit einer weltweiten Plakataktion aufmerksam. Wir haben dafür eine Wand auf dem Gleis 4 am Freisinger Bahnhof gemietet.
Wenn Frieden heute in unserer Gesellschaft kein Thema ist, geht es uns dann einfach zu gut?
Das wäre eine zu einfache Antwort. Pax christi war nie für die einfachen Antworten, nie für die einfachen Lösungen. Wir standen schon immer für die Opposition. Da muss man auch mal provozieren, da braucht es auch mal den zivilen Ungehorsam wie er sich in den 1980er Jahren in Wackersdorf oder auch beim Bau des Flughafens gezeigt hat. Der Flughafen hat die gesellschaftliche Struktur in Freising komplett verändert. Menschen sind auf der Strecke geblieben, weggezogen. Da geht es dann um das Thema sozialer Frieden.
Das waren laute Proteste. Heute protestiert pax christi zumindest in Frei-sing eher leise, oder?
Ja, wir machen heute eher Themengottesdienste, Lesungen und andere Aktionen statt lauten Sitzblockaden. Aber glauben Sie nie, dass Beharrlichkeit nicht erfolgreich sein kann. Auch wenn man uns lange unter der planierten Decke des Mainstream nicht sieht und hört, das Kraut bricht irgendwann durch die Asphaltschicht. Uns trägt da auch die christliche Hoffnung, wir wissen, dass unser Engagement nicht umsonst ist. Kleine Impulse, kleine Zeichen bringen einige Menschen zum Nachdenken. Das ist ein bisschen wie im Gleichnis des Sämanns im Matthäus-Evangelium: ein kleiner Teil der Samen geht auf und wird Früchte tragen.
Pax christi macht also weiter?
Selbstverständlich. Und es werden die Momente kommen, in denen die Menschen wieder das Bedürfnis haben, mit ihrer Angst aufgefangen zu werden. Wie damals, als der Irak-Krieg ausbrach und die St. Georgs-Kirche voll war beim Friedensgottesdienst.
Und dann werden Sie da sein?
Dann werden wir da sein.
Das Interview führte Claudia Bauer (KBW)
zum Foto:
Wo steht pax christi heute und wie wird sich die Vereinigung entwickeln? Darüber gab dem FT Ernst Fischer, Sprecher der Freisinger Gruppe, Auskunft. Unser Bild zeigt ihn am Freisinger Bahnhof (Bahnsteig Gleis 4) vor dem Plakat, mit dem sich pax christi an einer Aktion von ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) beteiligt. FOTO KBW